Albany ist eine Stadt in Westaustralien, die an der Großen Australischen Bucht liegt. Sie ist umgeben von wunderschönen Nationalparks und traumhaften Stränden. Es mag komisch klingen aber wir verspürten allmählich den Drang nach einem geregelten Alltag. So schön das Herumreisen bisher auch gewesen ist, war es an der Zeit für einen Job. Immer nur Geld ausgeben ohne dabei ein Einkommen zu haben, hinterlässt auf Dauer ein unbehagliches Gefühl. Die Reisekasse musste aufgebessert werden auch wenn es nur dafür war, um das Gewissen zu beruhigen. Somit suchten wir uns einen Farmjob, die einfachste Variante über einen kürzeren Zeitraum Geld zu verdienen. Es war gerade Erdbeersaison und über Gumtree, das australische Ebay, fanden wir eine Farm bei Albany, die Backpacker einstellte. Wir versuchten unser Glück und schrieben den Farmer an. Es dauerte auch nicht lange und wir bekamen eine positive Rückmeldung. Am Sonntag wollten wir anreisen, um Montag als Fruit-Picker anzufangen. Dadurch hatten wir noch ein paar Tage Zeit, um uns im Ort und Umgebung umzuschauen.
Da unser Auto „die weiße Rakete“ ab und zu ein paar Startschwierigkeiten am Morgen aufwies, entschlossen wir uns, eine Werkstatt aufzusuchen. Besonders, wenn es über Nacht abkühlt, dauert es am nächsten Tag ein wenig länger. Wir bekamen sogar gleich einen Termin und ein älterer Herr hatte anhand unserer Erläuterungen bereits eine Vermutung. Für etwas mehr als 200 AUD schaute er unter die Motorhaube und wechselte unsere Glühkerzen aus, wovon zwei bereits ziemlich abgenutzt waren. Ansonsten ist unser guter Dieselmotor ja schon etwas in die Jahre gekommen und benötigt eben eine Sonderbehandlung vor dem Start am Morgen. Ordentlich Vorheizen gehört dazu und dann dauert es ein wenig, bis der Motor warm wird und die weiße Rakete Fahrt aufnimmt.
Als diese kleine Unannehmlichkeit erledigt war, entschlossen wir uns noch einen Tag im an der Küste gelegenen National Park Torndirrup zu verbringen. Hier gibt es bekannte Felsformationen wie The Gap, Natural Bridge oder The Blowholes. Besonders beeindruckend war The Gap, ein 25m breiter und 40m tief in den Fels verlaufender Riss. Eine sich darüber befindliche Plattform ermöglicht es, das tosende Meer unter sich zu sehen. Die Blowholes waren an dem Tag leider nicht aktiv. Bei stärkerer Brandung kann man hier Wasserfontänen sehen, die durch Löcher aus dem Fels gedrückt werden. Wir fuhren danach noch an eine andere Stelle und fanden einen traumhaften, menschenleeren Strand vor.
Die Flinders Peninsula (Halbinsel), auf der wir ein gutes Stück entlang liefen, können wir nur jeden empfehlen. Von hier aus hat man in beide Richtungen grandiose Ausblicke auf die Küste und das Meer. Es gibt eine anspruchsvolle und spektakuläre Tageswanderung, für die wir leider nicht mehr genügend Zeit hatten. Abseits der Hauptattraktionen trafen wir auch hier kaum auf andere Besucher und hatten die wunderschöne Natur teilweise für uns allein.
Es war Sonntag Nachmittag, der 04. Februar 2018. Gespannt fuhren wir in die Einfahrt der Erdbeerfarm Handasyde ein. Auf einer Wiese am Feld konnten wir unser Auto abstellen und uns einrichten. Es gab auch Unterkünfte und Wohnwagen, die man hätte mieten können. Aber dadurch, dass wir in unserem eigenen Van schlafen konnten, sparten wir uns das Geld und zahlten lediglich fünf AUD pro Person pro Tag. Dafür hatten wir WLAN, eine heiße Dusche und konnten die Räumlichkeiten wie Küche und Waschmaschine mit nutzen (wobei die Küche und sanitäre Anlagen durch die zahlreichen Backpacker ziemlich heruntergewirtschaftet waren und die australische Natur zum Teil Besitz von der Einrichtung ergriffen hat).
Neben uns standen drei weitere Vans, allesamt von der Marke Mitsubishi und mit französischen Pärchen. Die Leute hier machten keinen allzu glücklichen Eindruck und lagen gequält auf dem Boden herum. Sie hatten heute zum Sonntag eine extra Schicht geschoben, da gerade Hochsaison ist, wie wir erfuhren. Es wurde über Rückenschmerzen geklagt und die ersten Tage seien am härtesten. Dass das kein einfacher Job sei, hatten wir bereits in der Anzeige gelesen und wir konnten es uns auch denken. Erdbeeren wachsen bekanntlich am Boden und auf dieser Farm muss man die Reihen in gebückter Haltung ablaufen. Trotzdem gingen wir motiviert an die Sache ran. Jedoch sollte unsere Motivation nicht allzu lang anhalten…
Der 5. Februar war Patrick sein Geburtstag und gleichzeitig unser erster Arbeitstag. Wahrscheinlich war es sein bisher schlimmster Geburtstag, denn wir mussten mehr als 10 Stunden buckeln und die Laune sank auf den Tiefpunkt! Am Morgen unterschrieben wir einige Formulare und Belehrungen, bekamen unsere Arbeitsverträge ausgehändigt und gaben unsere Reisepässe ab. Es folgte noch eine schnelle Einweisung. Allzu viel verstanden wir jedoch nicht von dem Aussie-Farmer-Englisch.
Backpacker aller Nationen machten sich auf dem Feld gemeinsam krumm, mit dem Ziel, möglichst viel Geld zu verdienen. Franzosen, Deutsche und Asiaten waren die Nationen, die am häufigsten vertreten waren. Des weiteren gab es noch Engländer, Holländer, Italiener, Südamerikaner, Neuseeländer, Iren und auch einige Australier. Hier, auf der Erdbeerfarm, haben wir Bjarne und Caro aus Kiel/ Hamburg kennen gelernt und verstanden uns von Anfang an sehr gut. Jedoch haben die beiden es noch kürzer als wir ausgehalten und bereits nach ein paar Tagen die Farm gewechselt. Die beiden waren es auch, die uns im Anschluss einen weitaus angenehmeren Job vermitteln konnten, worüber wir sehr dankbar sind.
Dadurch, dass wir auf andere Gleichgesinnte trafen, hatte der Job auch etwas Gutes. Und wir lernten auch wieder viel mehr freie Zeit zu schätzen. Nach der ersten Woche buckeln fühlte sich der Sonntag an wie ein Geschenk. Wir zelebrierten den Tag und fuhren nach einem ausgiebigen Frühstück zum Two Peoples Bay Natur Reservat. Dort trafen wir uns mit unseren französischen Camping-Nachbarn, um einen Tag am Meer zu genießen und zu entspannen. Der Ort war einfach traumhaft und Little Beach gehört auf jeden Fall mit zu den schönsten Stränden, die wir bis dahin gesehen hatten. Perfekter weißer Pudersand, türkisblaues Meer, Sonnenschein und das Ganze eingerahmt in sanften Hügeln und Felsen. Und um den Tag noch perfekter zu machen, kam sogar eine Gruppe Delfine in die Bucht geschwommen.
Vormittags Bücken
Unsere Arbeitstage begannen Punkt um 6 Uhr. Das heißt um 5, noch vor dem Sonnenaufgang, klingelte der Wecker. Nach unserer Morgentoilette und einer Schüssel Müsli sowie einer Tasse Kaffee, versammelten wir uns alle wie Zombies auf dem Hof, wo uns ein schrottreifer australischer Farm-Bus einsammelte. Unser glatzköpfiger, stämmiger Busfahrer, der miesgelaunt war und sein Leben hasst, kündigte jeden Morgen laut hupend an, dass alle einsteigen sollen. Wenn es auch der letzte in den überfüllten Bus geschafft hat, setzte dieser sich langsam und schwankend in Bewegung. Er brachte uns zu den Feldern, die aktuell an der Reihe waren.
Vormittags arbeiteten wir jeweils sechs Stunden auf dem Feld. Am Rande standen immer die Aufseher und sorgten für Ordnung und Disziplin. Ausgerüstet mit einem speziellen Tragekorb und einem Stapel Kisten strömten nun alle in die Reihen und stürzten sich auf die reifen Erdbeeren. Der Elan, der dabei an den Tag gelegt wurde, hatte auch einen Grund. Denn diejenigen, die zu den drei langsamsten gehören und am wenigsten Kisten voll mit Erdbeeren sammeln, werden nach wiederholtem Male für das Pflücken mit „Piecerate“ bezahlt. Das bedeutet, dass man dann keinen Stundenlohn mehr bekommt sondern pro volle Kiste bezahlt wird. Das Geld, das man dabei pro Kiste verdient, ist jedoch so gering, sodass man am Ende höchstwahrscheinlich mit weniger raus geht.
Aller zwei Stunden gab es eine kurze Pause – die sogenannte Smoker – welche unser Busfahrer laut brüllend ankündigte. Nun hieß es, sich wieder in eine gerade Position zu bringen, was nur bedingt möglich war. Die Pause hat man dringend nötig gehabt, um seine schmerzenden Glieder und vor allem den geschundenen Rücken kurz zu entlasten. Uns wurde öfters erzählt, dass der Körper nach den ersten Tagen beginnt Muskeln aufzubauen und es dann besser wird. Doch das war gelogen!
Gefahren auf dem Erdbeerfeld
Neben Erdbeeren fanden wir auch ab und zu wunderschöne Frösche in leuchtenden Farben. Doch diese waren auch der Grund, dass gelegentlich eine Tigersnake (Tigerotter) zwischen den Pflanzen ihr Unwesen treibt. Die Tigersnake ist eine sehr giftige Schlangenart, die nur im Süden Australiens vorkommt. Mit dieser kamen wir zum Glück nicht in Berührung. Ich hatte jedoch das Glück von einer Biene gestochen zu werden, als ich in die Pflanzen gefasst habe. Zuerst tat es nur ein wenig weh aber über Nacht schwoll meine Hand um einiges an. Es pulsierte stark und ich hatte Probleme zu schlafen. Dadurch konnte ich „leider“ zwei Tage nicht arbeiten. In der örtlichen Apotheke besorgte ich mir stärkere Antihistaminika und kühlte die nächsten Tage, um die Schwellung in den Griff zu bekommen.
Nachmittags Packen/ Weiterbücken
Nach der Mittagspause wechselte ein Teil der Gruppe in die Scheune, um die gepflückten Erdbeeren zu sortieren und zu verpacken. Der Rest musste wieder auf das Feld und pflückte entweder weiter oder wurde zum Unkraut ziehen verdammt. Wir bekamen erst später mit, dass man für das Verpacken am Nachmittag und für die ersten drei Tage auch nach „Piecerate“ bezahlt wurde. Die vollen Kisten mit den Erdbeeren mussten nun auf kleine Schalen unterschiedlicher Größe verpackt werden, die dann in den Supermarkt gingen. Der Preis pro Kiste ändert sich dabei jeden Tag und lag im Schnitt bei einem AUD. Dabei mussten wir noch die Erdbeeren nach Größe sortieren und matschige oder welche, die nicht der Norm entsprachen, entsorgen. Wenn die fertige Schale die Qualitätskontrolle nicht bestand, kam diese wieder an deinen Platz zurück. Natürlich waren wir vor allem zu Beginn sehr langsam und konnten somit kein Geld machen. Mit den asiatischen Kollegen, die bereits mehrere Monate den Job durchzogen und mittlerweile wie Verpackungsmaschinen arbeiteten, konnten wir nicht ansatzweise mithalten.
Zwei Wochen quälten wir uns auf dem Feld ab, bis wir das Handtuch warfen. Die Sache mit den Rückenschmerzen wurde nicht besser, ganz im Gegenteil. Der Schmerz saß tief. Und noch Monate danach machte sich der Rücken bemerkbar. Wir verließen die Farm mit ganz vielen anderen, was den Farmer nicht allzu sehr erfreute. Was waren wir erleichtert, als wir wieder davon fuhren und das Kapitel „Erdbeeren pflücken“ abschließen konnten.